Sollte ein Programmierer FORTH beherrschen?
Aus der Perspektive eines Entscheiders.
Johannes Reilhofer
Dem Entscheider, also dem für das Geld Verantwortlichen, kann man in der Regel unterstellen, dass er von den Computersprachen und ihren Feinheiten nicht viel versteht.
Gerade wenn er die Streitreden der Verfechter verschiedener Philosophien hört, bekommt er bestenfalls den Eindruck, Zeuge eines nicht enden wollenden Religionskrieges zu sein. Ich mache es kurz: die Fachleute erschlagen den Entscheider mit ihrem Wissen und er merkt sehr schnell die fehlenden Lehrjahre, die er für diese Materie gebraucht hätte. Er ist also nicht in der Lage, sich anhand von Insider-Fakten ein Urteil zu bilden. Er braucht andere Kriterien, die er versteht, die ihm weiterhelfen.
Ich habe nun das Glück, von Erfahrungen reden zu können. Dazu ein Rücksprung in die Zeit, als meine Firma recht aufwendige Meß- und Steuerungsanlagen baute. Damals gab es 3 Sprachen, die wir anwendeten: Assembler, Fortran77 und C. Die schlimmste war der Assembler. Wenn man einen Programmierer danach fragte, wie lange er noch für sein kryptisches Monster brauchen wird, bekam man Von-bis-Zeiträume mit einer extremen Streubreite versprochen, Zeiten, die zum Planen ungeeignet waren. Der Assembler war auch damals schon für seine grenzenlosen Fähigkeiten bekannt: was man alles damit machen kann und wie lange es dann dauert. Besser sah es mit den Hochsprachen aus. Die Prognosen für den gesamten Zeitaufwand trafen ziemlich gut die Zeit der Planung und des Codierens. Das Austesten und das Polishing fraßen dann die anderen 3/4 der Zeit, die nicht vorhergesagt worden waren.
Eine Firma bekommt ihre Lieferung erst dann bezahlt, wenn die Abnahme erfolgt ist. Ich erinnere mich mit Grausen an die Vor-FORTH-Zeit. Meine Aufgabe war es dann jeweils bei einer Bank die Zwischenfinanzierung aufzutreiben, die uns über die Phase - schon gelieferte Hardware und noch nicht gelieferte Software - retten mußte.
Ja, und dann fingen wir mit FORTH an. Nicht die Informatiker waren es, für die hatte FORTH etwas zu Bedrohliches, sondern die Elektro-Ingenieure und die Maschinenbauer. Man hatte Ihnen gesagt, daß für FORTH der gesunde Menschenverstand ausreichen würde und eine ordentliche Fachausbildung. Das war etwas ganz neues. Man brauchte also nicht mehr unbedingt einen Computer-Guru als Interface zwischen dem, was man wollte und dem was man konnte, nein, man konnte es selbst lernen.
Es war tatsächlich so. Die Leute, die Ihre Aufgabe verstanden hatten und sie lösen sollten, konnten dies nun auch unter der Einbeziehung von Computern. Sie mußten den Softwareteil nicht mehr „out sourcen“, sie konnten es selbst. Sie mußten auch nicht mehr dem fachfremden Programmierer erklären was sie brauchten und ihm bei dieser Gelegenheit einen weiteren Beruf beibringen. Und weiter konnten sie sich viele Besprechungen sparen, die sonst für die Aufklärung von Mißverständnissen zwischen den Disziplinen notwendig waren. Alles in allem, günstige Bedingungen für ein effizientes Schaffen.
Mit FORTH kam für uns die Neue Zeit der Auslieferungen: Die Software wurde mit der Hardware geliefert, die Überbrückungskredite waren nicht mehr notwendig. Großartig. Wenn der Entscheider sieht, daß er mit FORTH die erwartete Zahlung ein halbes Jahr früher auf dem Konto hat, dann wird er sich, unbelastet von irgendwelchen Kenntnissen über Rechnersprachen, um die Wiederholung des „Wunders“ bemühen.
Einen weiteren Effekt erkennt der Entscheider natürlich auch. C, C++ und was es sonst noch an gewaltigen Sprachen gibt, braucht eben erheblich länger zum Programmieren und ist deshalb teurer. Wenn er also den gleichen Preis wie seine Mitbewerber nimmt, verdient er an der gleichen Aufgabe erheblich mehr - und das zu sehen ist sein Job - als Entscheider.
Autor: jr, editiert 09.08.00, EWoi